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Alles ist Gnade, alles Geschenk

Alles ist Gnade, Alles Geschenk

Porträt von Sr. M. Mathilde Rudlstorfer, Elisabethinen Linz

Legt nicht alles fest – lebt! So lautet ein Leitgedanke der Elisabethinen. Worte sind wichtig, aber Taten sprechen oft eine viel deutlichere Sprache, und zwar nicht nur jene Taten, auf die man aufmerksam wird, weil sie außergewöhnlich oder spektakulär sind, sondern ganz besonders auch jene, die stetig mit liebevoller Hingabe gesetzt werden und die sich aus der Kraft eines tiefen Glaubens nähren. Das Leben und Wirken von Sr. Mathilde Rudlstorfer ist ein gutes Zeugnis dafür.

 

GEBOREN IN DER KRIEGSZEIT und mit drei Geschwistern in der elterlichen Landwirtschaft in Leopoldschlag an der oberösterreichisch-tschechischen Grenze aufgewachsen, erlebt sie im Wechsel der Jahreszeiten staunend das Werden und Vergehen in der Natur, muss aber auch schon sehr früh erfahren, dass auch das menschliche Leben diesem Zyklus unterworfen ist. Als sie erst zwölf Jahre alt ist, stirbt ihre geliebte Mutter nach langer schwerer Krankheit. Von nun an ist ihr Elternhaus nicht mehr die Heimat, die sie kannte und liebte. Angst, innere Leere und die Frage nach dem Sinn des Lebens, wenn es doch nur so kurz und fragil ist, beschäftigen das Mädchen. Sie beginnt Antworten auf ihre Fragen zu suchen und macht sich Gedanken, wie ihr Lebensweg weitergehen soll.

 

Beruf und Berufung

Sie orientiert sich in der Arbeitswelt, z.B. im Marianum Freistadt in der Küche, im Garten und in der Wäscherei, oder als Saisonarbeiterin in der Gastronomie eines Gasthofs am Brenner, aber ihr Weg nimmt eine andere Wendung. Die innere Ratlosigkeit weicht der Vorstellung, ihr Leben in den Dienst der Kranken zu stellen. Die Begegnung mit geistlichen Schwestern während eines  Krankenhausaufenthalts ist dabei prägend, ebenso wie ihr festes Vertrauen zu ihrer verstorbenen Mutter, dass diese sie führen und begleiten werde.

 

So kommt Sr. Mathilde über Umwege zu den Elisabethinen nach Linz, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie arbeitet als Stationsgehilfin, beobachtet die geistlichen Schwestern sehr genau und erkennt bald, dass diese Lebensform auch die ihre werden könnte. Dennoch fällt ihr die Entscheidung, in die Ordensgemeinschaft einzutreten, nicht leicht, denn ihr Vater ist nicht begeistert. Letztlich wagt sie aber gemeinsam mit einer Freundin, der heutigen Sr. Alexia, diesen Schritt und tritt 1965 in den Orden ein.

 

Sie darf ihren Traumberuf Krankenschwester erlernen und sammelt nach dem Diplom auch in Innsbruck und Wels Erfahrungen in der Hautklinik. Als 1993 bei den Elisabethinen die Dermatologische Abteilung eröffnet wird, absolviert Sr. Mathilde auch den Stationsschwesternkurs und übt diese Funktion bis 1998 aus.

 

Seelsorgerin im wahrsten Sinne des Wortes

Ihr Weg nimmt aber noch einmal eine andere Richtung. Ihr besonderes Gespür für die Menschen, das sich in ihrer einfühlsamen und liebevollen Art des Umgangs mit den ihr Anvertrauten zeigt, bleibt natürlich nicht verborgen. Als Ordensfrau und kompetente Krankenschwester mit den genannten Qualitäten ist Sr. Mathilde auch für die Seelsorge quasi prädestiniert. So unterstützt sie ab 1998 P. Wolfgang in dieser Aufgabe. Gleichzeitig wird auch das Palliativteam im Krankenhaus aufgebaut, wo sie ebenso tatkräftig mitarbeitet. Die entsprechenden Kurse absolviert Sr. Mathilde ebenfalls und übernimmt ab 2003 die Leitung der Krankenhausseelsorge bis 2011. Die Leitung der Seelsorge auf der 2005 eröffneten Palliativstation hat sie bis heute inne.

Frei für das Wesentliche Suchen und Finden, Loslassen und Neubeginnen, Werden und Vergehen – diese Gegebenheiten prägen das Leben von Sr. Mathilde bis heute. Sie kennt sie aus den Erfahrungen ihres persönlichen Lebens, aber auch aus ihren Begegnungen mit so vielen Menschen, die sie ein Stück ihres Weges begleitet. Ihre Arbeit und ihr Leben in der Gemeinschaft der Elisabethinen beschreibt sie als unendlich bereichernd. „Ganz klein und zufrieden wird man, wenn man mit den Schicksalen konfrontiert ist, die Menschen zu tragen haben“, sagt sie und ist überzeugt, dass man im Loslassen weltlicher Dinge frei wird für das Wesentliche. So zieht sie rückblickend auf ihr bisheriges Leben den Schluss „Alles ist Gnade, alles Geschenk“, ein durchaus sehr erstaunliches Fazit angesichts dessen, was sie selbst erlebt hat und in der Begegnung mit so viel Leiden täglich erfährt.

 

Die Gemeinschaft im Orden gibt ihr Halt und Geborgenheit, aber auch die Freiheit zu sich selbst zu finden. Viele Gespräche mit Menschen ihres Vertrauens halfen ihr über so manche Krise hinweg, sodass sie immer wieder Vertrauen in Gottes Gegenwart fassen konnte. Ihre persönliche Kraftquelle ist die Meditation im Jesusgebet. „Herr, begegne du durch mich den Menschen“, betet sie täglich, und wer Sr. Mathilde kennt, weiß, dass sie diese Bitte in allem, was sie tut, überzeugend in die Tat umsetzt. Sie hat das rechte Wort zur rechten Zeit, unaufdringlich, klar und wahrhaftig und weiß auch tröstend zu schweigen, wenn die Worte nicht ausreichen.

 

Das Charisma der Elisabethinen, in Offenheit und Fröhlichkeit auf die Menschen zuzugehen entspricht ihrem Naturell. Elisabeth von Thüringen und Franz von Assisi sind ihre Vorbilder und Impulsgeber, am Krankenbett von Patientinnen ebenso wie in den vielen anderen Aufgaben des Alltags und auch in der Stille der Kapelle.

 

In ihrer Freizeit zieht es Sr. Mathilde in die Natur, zu Fuß oder auf dem Fahrrad, und hin und wieder nimmt sie auch gerne ihre Veeh Harfe in die Hand und findet in ihren Klängen Ruhe und Erholung.

 

Beim Schreiben der Zeilen über diese einfache, beeindruckende Frau kommt mir Rainer Maria Rilke in den Sinn:

 

Ich lebe mein Leben
in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht
nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott,
um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht:
bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.

 

Jahresringe als Metapher für ein menschliches Leben, vergleichbar dem immer tragfähiger werdenden Stamm eines Baumes, und kreisend um die starke Mitte des Glaubens – aufmerksam, scharf beobachtend und zielsicher wie ein Falke, vorantreibend, aufwühlend und bewegend wie ein Sturm oder einstimmend in ein tiefempfundenes allumfassendes Loblied – ein Bild, das wohl jedem Menschen in irgendeiner Form gerecht wird, unserer Sr. Mathilde aber bestimmt in besonders treffender.

A. RETSCHITZEGGER


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