Am Ende. Leben.

Am Ende. Leben

Assistierter Suizid – aktive Sterbehilfe – passive Sterbehilfe – Exit

Die „Sterbehilfe“ ist ein stark diskutiertes Thema. Zurecht, denn es betrifft uns alle, denn eines ist sicher – sterben muss jeder irgendwann – das WIE ist jedoch zumeist unklar.

 

„SCHAU HIN UND HANDLE“. Ganz nach diesem Motto betreibt das Krankenhaus der Elisabethinen Graz nun schon seit einigen Jahren die Palliativstation und die beiden Hospize, das Hospiz St. Elisabeth und das VinziDorf-Hospiz für Obdachlose. In all diesen Institutionen wird das Ziel verfolgt, Schmerzen zu lindern und den Menschen ein würdevolles Lebensende zu bereiten, damit „Am Ende. Leben“ sein kann. Dieser Grundgedanke widerspricht einem assistierten Tötungsakt. Menschen in Not und zwar besonders Kranke, Verängstigte und auch Obdachlose werden oft an den Rand der Gesellschaft gedrängt. „Wir wollen niemandem zur Last fallen. Ein schnelles Ende wäre schön.“ Solche Gedanken haben die Betroffenen sehr oft. Patient*innen haben schlichtweg Angst und wollen ihren Angehörigen nicht zur Last fallen, daher denken und sprechen sie oft von einem einfachen und schnellen Ausweg, dem „assistierten Suizid“. Hinter dem Sterbewunsch und der Angst, die Patient*innen dazu führt solch ein Anliegen zu äußern, stecken oft andere Gründe: die Furcht vor Schmerzen, Kontrollverlust, Abhängigkeit ... Aus diesem Grund ist es essenziell, Gespräche mit den Patient*innen und Angehörigen zu führen, da Sorgen besprochen und somit oft gemildert werden können. Wenn Menschen, die Suizidgedanken haben, verstärkt durch das multiprofessionelle Team der Palliativstation begleitet werden, wird oft das Verlangen nach einem vorzeitigen Tod schwächer und Freude in der letzten Lebensphase steigt auf.

„Ich bin so glücklich und zufrieden. Ich hoffe, diese wunderschöne Zeit noch möglichst lange genießen zu können.“

Sterbewunsch, Todes- und Tötungswunsch, das ist uns in der Palliative Care nicht fremd. Viele Menschen mit einer weit fortgeschrittenen und unheilbaren Erkrankung haben im Lauf der letzten Lebensmonate den Wunsch zu sterben. Einige davon möchten selbst aktiv werden oder auch Unterstützung dahingehend in Anspruch nehmen.

Vor einigen Wochen übernahmen wir eine Patientin mit einer unheilbaren und progredienten Lähmung (Amyotrophe Lateralsklerose). Künstliche Lebensverlängerung hatte Frau B. schon im Vorfeld rechtsgültig ausgeschlossen. Nun wollte sie einen Schritt weitergehen und ihr Leben aktiv beenden. Bei klarem Verstand, die Tragweite der Entscheidung überblickend. Befreit von Schmerzen und anderen körperlichen Symptomen, außer der therapierefraktären geringen Sprach- und Schluckstörung. Psychisch gesund. Frei von jedem Druck anderer Menschen. Ohne soziale Not.

„Helft mir, meinem Leben ein Ende zu bereiten, sonst muss ich in die Schweiz fahren, und das möchte ich meinen Angehörigen nicht antun“. Fast jeder Suizid hinterlässt Traumatisierung bei den Zurückbleibenden, auch wenn sie noch so gut vorbereitet und begleitet werden.

Wir haben die an uns gerichtete Bitte von Frau B. als Vertrauensbeweis einer guten Patientin-Betreuungsteam-Beziehung verstanden. Wir haben weder den Wunsch, schon gar nicht die Frau bewertet oder gar (ver)urteilt. Das steht uns nicht zu! Wir haben zunächst um ein wenig Zeit gebeten, um mit diesem Wunsch würdevoll umgehen zu können. Diese Zeit haben wir multi- und interdisziplinär genutzt, um mit Frau B. über die Gründe zu sprechen, warum sie nicht mehr leben möchte. Worunter sie im Augenblick am meisten leide bzw. was dann im Tod besser sei. Vieles haben wir gemeinsam besprochen: Die Angst, qualvoll ersticken zu müssen bzw. was Palliative Care dann zu bieten hat. Die Angst, ein vollkommender Pflegefall zu sein bzw. wie Frau B. dennoch selbstbestimmt und würdevoll leben und vielleicht sogar manches genießen kann. Die Angst, an Schläuchen hängend nicht mehr kommunizieren zu können bzw. wie dieser Zustand verhindert werden kann.

Wir haben viel Zeit gemeinsam verbracht, sind gut in Berührung gekommen. Frau B. hat mit unserer Unterstützung vieles vom belastenden Nebel der Ungewissheit ordnen können; in wahrer Vollendung ihrer Autonomie und Würde Anweisungen für die Zukunft gegeben. Frau B. nach einer Familiengeburtstagsfeier: „Ich bin so glücklich und zufrieden. Ich hoffe, diese wunderschöne Zeit noch möglichst lange genießen zu können“.

Nicht das Leid und die Krankheit bleiben im Fokus, sondern die Freude an der verbleibenden Lebenszeit.

Vertrauen. Beziehung. Verantwortung. Geborgenheit. Über alle Ängste sprechen zu dürfen und gute, selbstbestimmte Vorgaben kommuniziert zu haben. Es hat sich gleichsam ein „Weg B“ für unsere Patientin ergeben, ohne jemals wieder über den Weg der (Selbst) Tötung sprechen zu wollen – diesen Pfeil hat Frau B. zurück in ihren Köcher gesteckt. Wir haben einander erspart, das enttäuschende „Nein“ ihrem Wunsch entgegenzuwerfen, sondern sie konnte einen noch besseren Weg für sich sehen und ihn bis zu ihrem natürlichen Tod gehen.

Unser Auftrag ist es, schwerstkranken Menschen in ihrem Leid beizustehen. Alle Beschwerden, physisch, psychisch, sozial oder spirituell, so gut es geht zu nehmen. Der Palliativauftrag geht aber weiter: Nicht das Leid und die Krankheit bleiben im Fokus, sondern die Freude an der verbleibenden Lebenszeit. Und vielleicht der Versuch, das Leben in sich geheilt vollenden zu können. Jedes Menschenleben ist l(i)ebenswert, bis zu seinem letzten Atemzug. Die Auslöschung seiner Existenz, das kann niemals die geeignete Therapie sein!

G. MUHRI,
D. AMSCHL-STRABLEGG,
L.S. DRESCHER

Zu den Autor*innen:

DR. GEROLD MUHRI

ist Geschäftsführender Oberarzt für Palliativmedizin und Hospiz

DGKP DÉSIRÉE AMSCHLSTRABLEGG

ist Bereichsleiterin für Palliativ und Hospiz

LAURA SOPHIE DRESCHER

arbeitet als Assistentin des Fördererservice der Hospize und in der Öffentlichkeitsarbeit am Krankenhaus der Elisabethinen Graz.


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