Die abenteuerliche Geschichte einer Monstranz

„Die Wege des Herrn sind unergründlich“ ist ein vielstrapazierter Ausspruch. Oft sind es die seltsamsten Zufälle, die unsere Wege durchkreuzen, Gewohntes aus dem Lot oder – wie in der folgenden Geschichte – etwas wieder ins Lot bringen.

NACHDEM APOLLONIA Radermecher 1622 das Gasthaus am Radermarkt, also das damalige städtische Armenspital, als Leiterin übernommen hatte, gab sie dem Aachener Goldschmied Dietrich von Rath den Auftrag, eine Monstranz für die Kapelle des Hospitals anzufertigen. Eine Monstranz ist ein meist sehr kostbar und künstlerisch ausgestaltetes liturgisches Gefäß, in dem eine geweihte Hostie als Allerheiligstes zur Anbetung ausgesetzt wird. Apollonia spendete für diese Monstranz ihren persönlichen Schmuck und erhielt sogar noch weiteren von Aachener Bürger*innen. Dietrich von Rath fertigte aus den gesammelten Schmuckstücken eine Monstranz aus Silber, die er dann vergoldete und 1624 fertigstellte.

Das hochgeschätzte Stück geht verloren

Nun zog diese Monstranz mit den Schwestern immer dorthin, wo sie beheimatet waren, und es waren oft sehr bewegte Zeiten. Auch bei der Einweihung des Mutterhauses der Elisabethinnen am Aachener Preusweg im Jahr 1937 wurde dieses besondere und für die Schwestern sehr bedeutsame liturgische Stück verwendet. Als das Mutterhaus am 24. Juli 1941 durch ein Polizeikommando der Nationalsozialisten beschlagnahmt wurde und die Schwestern das Haus verlassen mussten, wurde alles, was sich dort an Wertgegenständen befand, gestohlen, verschleudert oder vernichtet. Unter diesen Gegenständen befanden sich auch Apollonias Altarschrank und die wertvolle Monstranz. Der Altarschrank wurde auseinandergenommen und die Monstranz, die den Schwestern seit 1624 sehr ans Herz gewachsen war, wurde gestohlen.

Dieser Verlust ging den Schwestern sehr nahe, besonders auch deshalb, weil Mutter Apollonia noch verfügt hatte, dass die Monstranz auch in Zeiten allergrößter Not nicht eingeschmolzen oder veräußert werden dürfe. So verlor sich die Spur des kostbaren Gegenstands, und die Schwestern fügten sich in die trostlose Annahme, dass die Monstranz für immer verloren sei.

Die Spur findet sich wieder

Im April 1945 lässt sich ihre Spur jedoch wieder aufnehmen, wie man viele Jahre später herausfand. Offenbar war die Monstranz im Gepäck eines deutschen Soldaten nach Hürm in Niederösterreich gekommen. Es lässt sich nicht mehr feststellen, ob dieser Mann die Monstranz selbst gestohlen hatte oder sie auf andere Weise in seinen Besitz gekommen war. Um sie vor dem Zugriff russischer Truppen zu bewahren, übergab er das wertvolle Stück der Bauernfamilie, bei der er einquartiert war, zur Aufbewahrung. Die Familie versteckte die Monstranz im Räucherkasten hinter einem Schrank, sodass sie nicht entdeckt wurde.

Der Soldat kehrte aus dem Krieg nicht mehr zurück. Die Bauernfamilie aber wollte das kostbare Gefäß nicht behalten und übergab es dem Ortspfarrer. Dieser erkannte dessen Wert und übergab die Monstranz dem damaligen Bischof von St. Pölten, der sie wiederum dem St. Pöltener Diözesanmuseum anvertraute.

Zufall oder Fügung?

Es sollte jedoch noch ein paar Jahrzehnte dauern, bis ein glücklicher Zufall die Heimkehr der Monstranz nach Aachen ins Rollen brachte. Johann Kronbichler, von 1980 bis 1993 Direktor des St. Pöltener Diözesanmuseums, traf bei einer Tagung der Arbeitsgemeinschaft kirchlicher Museen und Schatzkammern auf Herta Lepie, die seit den 1970er Jahren zur Goldschmiedekunst in Aachen forschte und 1976 ihre Dissertation über die Aachener Goldschmiedefamilie von Rath schrieb. Er zeigte ihr das Foto jener Monstranz unbekannter Herkunft, die sich in seiner Ausstellung befand. Beide erkannten die typischen Stilmerkmale des Dietrich von Rath, und binnen kurzer Zeit ließ sich zweifelsfrei feststellen, dass es sich um jene Monstranz handelte, die Mutter Apollonia vor über 370 Jahren von Dietrich von Rath für die Gemeinschaft der Elisabethinnen hatte anfertigen lassen. Nachdem die Eigentumsfrage unbestritten war, brauchte es nur noch Gespräche mit dem Aachener Offizial, der Ordensgemeinschaft, dem Diözesanmuseum St. Pölten, dem damaligen Diözesanbischof Kurt Krenn und dessen Kanzler Gottfried Auer, um die Rückkehr der Monstranz auf den Weg zu bringen. Gemeinsam mit ihrem Klosterkommissar machten sich am 7. Juni 1998 einige Aachener Schwestern auf den Weg nach St. Pölten, wo ihnen Gottfried Auer die Monstranz in einer schlichten Zeremonie zurückgab.

Die Monstranz kehrt ins Mutterhaus zurück

Auf ihrem Heimweg machten die Aachener Schwestern mit ihrem kostbaren Stück im Gepäck auch im Kloster der Elisabethinen in Linz Station. In der Schwesternkapelle wurde die Monstranz aufgestellt und nun auch von den Linzer Schwestern mit großer Freude bestaunt. Gemeinsam sang man die Fronleichnamsvesper, bevor sich die Aachener Ordensfrauen endgültig auf den Heimweg machten. Nach ihrer Ankunft in Aachen feierten sie in ihrer Gemeinschaft die Rückkehr ihrer Monstranz mit einem Dankfest und hörten am Fronleichnamsfest erstmals nach 57 Jahren wieder jene Glöckchen an der Monstranz, die auch Apollonia und alle Schwestern nach ihr bis 1941 gehört hatten.

Ein Happy End, das wegen der hohen ideellen Bedeutung des Gegenstandes für die Aachener Schwestern einen großen historischen Stellenwert hat, und uns vielleicht doch daran glauben lässt, dass es keine Zufälle gibt, sondern eben nur Gottes unergründliche Wege.

A. RETSCHITZEGGER

Wenn Sie sich wundern, …
… warum der Ordensname in diesem Artikel unterschiedlich geschrieben wird: „Elisabethinnen“ mit Doppel-n und Betonung auf dem mittleren „e“ ist die in Aachen übliche Schreib- und Sprechweise. In Österreich hat sich hingegen „Elisabethinen“ mit der Betonung auf dem zweiten „i“ durchgesetzt.


​​​​​​​<< Zurück zur Übersicht​​​​​​​​​​​​​​