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Smarte Nichte Spiritualität

Martin Dürnberger

Die alte Tante Religion mag nur noch selten interessieren, aber ihre smarte Nichte ist für viele attraktiv: Spiritualität ist ein Thema, das nicht bloß beim elterlichen Gespräch am Spielplatz oder zwischendurch im Büro Interesse auf sich zieht.

SELBST AUF SOMMERLICHEN PARTYS kann man sich damit sehen lassen und darüber sprechen: Mindfulness und Achtsamkeit boomen in Apps und Seminaren, Meditationskurse gelten als legitime Me Time und ein Wellness-Urlaub mit entsprechenden Zusatzangeboten ist keineswegs etwas Außergewöhnliches. In Zeiten multipler Krisen und vielfältiger Überforderungs- und Erschöpfungsdiagnosen ist Spiritualität gefragt – und dabei nicht bloß ein Thema im Horizont psychischer Gesundheit, sondern überhaupt ganzheitliches Versprechen für das eigene Leben: eine Möglichkeit, im Lärm der Zeit zur Ruhe zu kommen, Stress und Zerstreuung hinter sich zu lassen, sich zu finden, zu sammeln, zu fokussieren, kurz: eine Möglichkeit, ausgeglichener sowohl mit den Wechselfällen des Lebens als auch der Weltlagen umzugehen. Derlei Erwartungen sind nicht bloß für Glücksforschung, Religionswissenschaft oder Soziologie von Interesse, sondern auch für Kirche und Theologie: In welcher Hinsicht mag der Glaube tatsächlich eine solche Ressource sein – und wo gilt es, Fragezeichen zu formulieren? Versuchen wir, dieser Frage in drei Schlaglichtern nachzugehen.

Beginnen wir mit einer Beobachtung, was mögliche Verbindungen von Spiritualität und Zufriedenheit, von Glaube und Glück betrifft: Empirisch lässt sich ein positiver Zusammenhang zwar oftmals schwach erheben, ist allerdings nicht unumstritten, weil unklar ist, wie sich Kausalitäten und Korrelationen verhalten. So notiert etwa der deutsche Soziologe Martin Schröder in der Auswertung von Daten einer Langzeitstudie, welche das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bereits seit den 1980ern durchführt, ein Doppeltes: Zum einen legen die Ergebnisse der über 600.000 Befragungen durchaus nahe, dass religiöse Zeitgenossen im Durchschnitt zufriedener als säkulare Befragte sind – bis dahin, dass Menschen sogar trotz Krankheit und Alter zufriedener werden können, wenn sie religiöser werden. Zum anderen mahnen die Daten aber zu Nüchternheit: Nicht nur haben die positiven Effekte spezifische Grenzen (etwa weil sie nach Beitritten nur gedämpft eintreten), sie hängen vor allem auch oft mit jenen sozialen Kontakten zusammen, die mit religiösen Praktiken einhergehen. Gleich ob Meditationsgruppe oder Sonntagsgottesdienst: Es ist nicht nur, aber nicht zuletzt das regelmäßige Eingebundensein in eine größere Gemeinschaft, das von besonderer Bedeutung für das eigene Wohlbefinden ist.

Natürlich mag man auch diesen moderaten Befund, um zum zweiten Punkt zu kommen, immer noch als Asset sehen: Zumindest im Großen und Ganzen scheinen Religiosität und Spiritualität ja doch hilfreiche Ressourcen zu sein, um mit Fährnissen des Lebens wie Stress, Krankheit und Tod zurechtzukommen. Was manch kirchlichem und religionskritischen Selbstverständnis gleichermaßen entgegenkommen mag (Religion als Ressource, um besser durchs Leben zu kommen – oder als hilfreiches Opium), wird allerdings gerade in der christlichen Tradition immer wieder in Frage gestellt und problematisiert. Der deutsche Theologe Johann Baptist Metz hat das in einer Serie rhetorischer Fragen pointiert getan: „War Israel glücklich mit seinem Gott? War Jesus glücklich mit seinem Vater? Macht Religion glücklich? Macht sie ‚reif‘? Schenkt sie Identität? Heimat, Geborgenheit, Frieden mit uns selbst? Beruhigt sie die Angst? Beantwortet sie die Fragen? Erfüllt sie die Wünsche, wenigstens die glühendsten? Ich zweifle.“ Was hier aufblitzt, ist eine Einsicht, die der jüdisch-christlichen Glaubensgeschichte spätestens seit den Gottesknechtsliedern in Buch Jesaja tief eingeschrieben ist: dass nämlich weder Gott noch Glaube Garanten für das eigene Wohlergehen sind, ja mehr noch: dass sie eigentümlich quer dazu stehen. Glauben erzeugt eben nicht einfach magisch auch Glück. Es ist offenkundig, dass diese Einsicht geschichtlich immer wieder unterlaufen wurde, wie eine breite Palette religiöser do-ut-des-Praktiken beweist: Wenn Du mir hilfst Gott, werde ich dieses oder jenes spenden! Zugleich steht außer Frage, dass auch gegenwärtig das Evangelium als Weg zu Wohlstand, Erfolg und Gesundheit propagiert wird, wie z.B. der Begriff prosperity gospel in evangelikalen Kreisen signalisiert: Christsein wird hier als ein Weg zum Erfolg vermarktet. Aber derlei falsche Sätze ändern sozusagen nichts an der grundsätzlichen Grammatik des Glaubens: Spiritualität im christlichen Sinn ist kein Selbstertüchtigungsprogramm, das existentiell wetterfest macht, kein Ensemble smarter Selbsttechniken für mehr Ausgeglichenheit, Achtsamkeit oder Resilienz. Mitunter macht sie die Dinge keineswegs leichter, sondern eher schwerer erträglich – und manche Nächte nicht heller, sondern dunkler.

Freilich muss man auch einen Fehlschluss in umgekehrter Richtung problematisieren: Selbst wenn Spiritualität kein Schmiermittel der Selbstoptimierung ist, ist sie doch nicht ohne Bedeutung für die Übung, heilsam mit Krankheit und Misserfolg umzugehen, das eigene Leben und seine Prioritäten zu ordnen, ein wenig klarer zu sehen oder zur Ruhe zu kommen. Um diese Dynamik ein wenig zu erhellen, mag es abschließend hilfreich sein, Spiritualität im christlichen Sinn als Exerzitium der (Gottes-)Freundschaft zu verstehen. Die Parallele macht auf mehrerlei aufmerksam: nicht nur darauf, dass christliche Spiritualität wie Freundschaft wesentlich mit einem Du zu tun hat (und beides praktiziert, gepflegt und kultiviert werden muss), sondern auch darauf, dass es sowohl toxische Freundschaft als auch Spiritualität geben kann (und es nicht gleich ist, worauf man sich einlässt). Vor allem aber macht die Analogie deutlich, warum ein rein instrumentelles Verständnis kurz greift: Auch wenn Freundschaften uns vielfach nutzen mögen, sind sie zuallererst und zutiefst von Zweckfreiheit geprägt – sie sind eine Form von Luxus, der gleichwohl lebenswichtig für uns ist. Vielleicht gilt das auch für Spiritualität: Wer nur nach ihrem Nutzen schielt, verfehlt ihre Pointe. Dafür ist die junge Nichte der Religion schlicht zu smart.

ERSTMALS ERSCHIENEN IN „DIE FURCHE“ VOM 25. MAI 2023

 

Assoz.-Prof. MMag. Dr. Martin Dürnberger

forscht und lehrt an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg und ist Obmann der Salzburger Hochschulwochen.

 

 

Martin Dürnberger im Podcast der Elisabethinen


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